Rezension: Enthaltsamkeit für das Klima?

(vom 27.05.2019)

Kinder sind die Grundlage jeder Gesellschaft. Denn seien wir ehrlich: Ohne Nachwuchs ist keine Gesellschaft gut für die Zukunft gerüstet. Oder auf den Punkt gebracht: Vernachlässigung der Reproduktion führt zum Aussterben binnen weniger Generationen. Das führt in den meisten Gesellschaften dazu, dass Eltern eine Sonderrolle zugestanden wird, die sich oftmals auch monetär bemerkbar macht. Man ist versucht, dies als gesellschaftlichen Konsens zu beschreiben. Dennoch gibt es durchaus Personen, die sich dem entschieden entgegenstemmen. Eine dieser Personen: Die bayerische Lehrerin, promovierte Mediävestin und überzeugte Feministin Verena Brunschweiger. Zum Anstoßen einer gesellschaftlichen Debatte ist sie einen bewährten Weg gegangen: Sie hat ein Buch geschrieben. „Kinderfrei statt kinderlos. Ein Manifest“ ist im Marburger Büchner-Verlag erschienen – und hat durchaus Wellen geschlagen.

Warum befasst sich ein Newsletter für die deutsche Stadtwerkewelt hiermit? Weil eine der mit ziemlicher Vehemenz und auf immerhin 29 von 133 Seiten verfolgten Thesen im Kern klimapolitischer Natur ist: „Der Verzicht auf ein Kind spart laut Forschern aus Schweden und Kanada knapp 60 Tonnen Kohlendioxid im Jahr. Dieselbe Einsparung bringt nicht einmal das autofreie Leben im selben Zeitraum (2,4 Tonnen) und schon gar nicht das Recyceln (weniger als 0,2 Tonnen jährlich).“ Die Konsequenz dessen: Verzicht auf Kinder, dem Planeten und der Biosphäre zuliebe.

Dieses Argument lässt sich nicht ohne weiteres vom Tisch wischen – es stimmt für den Moment ebenso nachdenklich wie das in den Raum gestellte Faktum, dass „ihr Kind [gemeint ist ein in westlichen Ländern, hier speziell Großbritannien, aufwachsendes] Kind 30 Mal mehr die Umwelt verschmutzt und die Ressourcen der Erde vergeudet als ein Kind aus der Sub-Sahara.“ Darin liegt eine tiefverankerte Verteilungs-Ungerechtigkeit!

Dennoch: Als Leser des gesamten Buches – und der Rezensent hat es tatsächlich von der ersten bis zur letzten Seite gelesen – kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass beim Abfassen viel Emotion verwendet wurde, die auf schlechten eigenen Erfahrungen fußt. Denn auch wenn über weite Strecken zahlreiche feministische Autorinnen – der kleine Literaturannex umfasst 21 Namen, davon nur 4 Männer – zu Wort kommen, scheinen doch nur an einigen Stellen persönliche Erfahrungen auf. Und überall da, wo dies der Fall ist, projeziert die Autorin als negativ empfundene Erfahrungen auf ein Gesamtbild. Das beginnt mit Gesprächen auf Partys, die sich fast zwangsläufig irgendwann um Kinder drehen, und die die kinderlose/-freie Autorin derart maßlos langweilen, dass sie irgendwann den Raum wechselt, geht über Erfahrungen mit der eigenen Wohnung, die unter der einer Familie lag, deren beide Söhne wohl in der Wohnung Fußball spielten, was die Autorin schließlich zum Auszug bewog, und reicht bis zum Übergehen des Versetzungswunsches an eine berstimmte Wunschschule zugunsten von Kollegen mit Kind. Einlassungen zum Charakter historisch bedeutsamer Plätze in Innenstädten durch anwesende Kinder sowie Erfahrungen mit Eltern, die ihre Kinder im Cafe nicht zur Rücksichtnahme auf andere Gäste anhalten (nach Lesart der Autorin: die Eltern besuchen mit Kindern absichtlich Cafes, um kinderlosen/-freien Menschen das Leben schwerzumachen!), komplettieren diesen Eindruck nurmehr marginal. Verstörend wirkt in letzterem Fall durchaus der kommentarlos wiedergegebene Erfahrungsbericht eines Kellners (leider wie oftmals im Buch ohne Quellenbeleg), der einem allzu anhänglichen Kind einen Schuss Wodka in den Orangensaft mischte – und befriedigt feststellte, dass die Eltern schließlich mit dem so unerklärlich ruhiggestellten Kind abzogen.

Dieser nur für einen Moment lustig wirkende Vorfall ist aber geradezu harmlos gegenüber der Bezugnahme auf Thesen des Philosophen David Benatar im Unterkapitel „Warum wir uns in der Regel selbst nicht die Wahrheit sagen“. Benatar „stellt das Gebot der Nachkommenlosigkeit auf – zur allgemeinen Lebensverringerung. Kinder zu produzieren [sic!] hält der Philosophieprofessor für moralisch verwerflich.“ Ja mehr noch: Dieser mit einem „intellektuellen Freibrief“ ausgestattete Philosoph macht sich daran „eine Einrichtung der Welt vorzustellen, welche sich nicht auf das Überleben, sondern das Aussterben der Menschheit richtet.“ Selbiger Gedankengang führt dann zum „durchaus bedrohlich [anmutenden] [sic!]“ Gedankenspiel, „einer allgemeinen (und dazu unwissentlichen) Verbreitung von Verhütungsmitteln über das Trinkwasser“. Ein Gedanke, den die Autorin als Anstoß zu einem „gedanklichen Prozess“ begrüßt, „der sich als erkenntnisfördernd herausstellt.“ Zugegeben: Für Stadtwerke, die im wesentlichen für die Trinkwasserversorgung in Deutschland verantwortlich zeichnen, trifft dies angesichts solcher Gedankenspiele in der Tat zu!

War bereits die immer wieder verwandte Nutzung von Pejorativa wie Brut für Kinder stark gewöhnungsbedürftig, kippt das Buch spätestens hier vollends, selbst aus Sicht eines wohlmeinend an die Materie herangegangenen, durchaus als selbst kinderlos nicht direkt betroffenen Rezensenten. Gegen solche Menschen hat sich die Autorin durchaus abgesichert, handelt es sich bei Kritikern doch ausweislich eines Interviews im Nachrichtenmagazin FOCUS vom 9. März 2019 um „zum Beispiel [...] rückwärts gerichtete[...] Konservative[...] oder [...] ‚Übereltern‘ [die vorangehenden Kürzungen im Zitat betreffen ausschließlich Endungen und Artikel – der Rezensent]“. Dies ist letztlich auch der entschiedenste Vorwurf, den man der Autorin machen kann: Zwar betont sie immer wieder, gerne über das Thema zu diskutieren, doch dient das lediglich einer vordergründigen Versicherung von Aufgeschlossenheit. Denn durch sämtliche Seiten des Buches zieht sich die durch nichts zu erschütternde Überzeugung, dass der eigene Weg der einzig richtige sei und mithin alle, die anders zur Thematik stehen, irren. Wenn aber so von Beginn an keine Aussicht darauf besteht, das Gegenüber im Gespräch von seinen Argumenten auch überzeugen zu können: Warum sollte man überhaupt in eine Diskussion eintreten? Diese, wenn ihr Ausgang bereits vor Beginn feststeht, wird letztlich fruchtlos bleiben.

Eine Bemerkung zum Schluss: Kein anderer Text, den der Rezensent bisher las, enthält derart oft Begriffe wie Spermatokratie, patriarchalicher Imperativ und Misogynie. Da der Rezensent durchaus auch feministische Literatur kennt, ist dies ein bemerkenswertes Faktum. Vielleicht liegt dies aber einfach daran, dass diese Feministinnen auch Mutter waren – nach Ansicht der Autorin eine Kombination, die sich per se ausschließt.

Verena Brunschweiger:
Kinderfrei statt kinderlos.
Ein Manifest
Büchner-Verlag Marburg
ISBN 978-3-96317-148-2
16,- Euro

Der Autor der Rezension legt Wert darauf zu betonen, dass das Exemplar, das er für diese Rezension nutzte, kein kostenfrei überlassenes Rezensionsexemplar ist. Der volle Betrag von 16 Euro floss an den Buchhandel und der davon vorgesehene Anteil entsprechend an die Autorin. Der Rezensent zieht weder aus dem Verkauf des Buches, noch aus dessen eventuellem Nicht-Verkauf irgendeinen Nutzen. Die hier wiedergegebene Rezension stellt eine persönliche Meinung dar.

Ansprechpartner
Markus Edlinger
0221.931819-21
edlinger@asew.de

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